Ich bin. #06 - Mir geht es gut. Ende der Konversation
Ich bin. #06 - Mir geht es gut. Ende der Konversation

Hin und wieder begegne ich Menschen aus dem Umfeld der Christianer – oder Menschen, denen ich einmal recht nahe stand. Teilweise Menschen, die beruflich oder privat mit Mitgliedern der Christianer in Verbindung stehen, jedoch um die Problematik wissen. Und wie solche Begegnungen oft beginnen, kommt dann die unverbindlichste aller Fragen: „Hallo, wie geht’s?“
Es gibt kaum eine Frage, bei der so häufig gelogen wird wie bei dieser. Und kaum eine, die gleichzeitig so demonstrativ uninteressiert gestellt wird. Besonders dann, wenn der Kontext eindeutig ist und man sehr genau weiß, warum man sich diese Frage eigentlich hätte sparen können.
Deshalb verschwende ich darauf keine Worte mehr. Ich antworte mit einem einzigen Satz:
„Mir geht es gut.“
Dieser Satz wird bei mir kein Smalltalk, er ist Anfang und Ende der Konversation. Er ist die Grenze, die ich ziehe. Denn was einfach klingt, ist das Ergebnis einer langen Geschichte und einer bewussten Konsequenz. Es gibt Momente, in denen Klarheit unvermeidbar ist. Und deshalb sage ich es noch einmal unmissverständlich:
„Mir geht es gut.“ Ende der Konversation.
Ich sehe keinen Bedarf mehr für weitere Gespräche. Nicht beim Einkaufen, nicht an der Tankstelle und nicht sonst, wo man sich begegnet. Auf belanglose Floskeln werde ich nicht mehr eingehen. Wer aus Unsicherheit oder Pflichtgefühl trotzdem etwas sagen möchte, kann das gerne tun, aber ohne mich. Wer möchte, kann die Straßenseite wechseln oder sich bewusst abwenden. Das erspart uns Situationen, die weder ehrlich noch sinnvoll sind.
Für manche mag das hart klingen und vielleicht sogar bitter. Das ist die Erklärung, die man reflexhaft heranzieht, wenn man sich nicht mit der Wahrheit beschäftigen will. Doch meine Haltung hat nichts mit Bitterkeit zu tun. Sie hat mit Konsequenz zu tun.
Das Verhalten, das nahezu alle Mitglieder der Christianer gezeigt haben, ist das Verhalten einer Gemeinschaft, in der Angst stärker ist als Gewissen. Menschen wissen um eklatantes Unrecht und entscheiden sich trotzdem bewusst dafür, es zu dulden. Nicht, weil sie es nicht wüssten, sondern weil sie genau wissen, dass Widerspruch einen Preis hat.
Das Nächste, was dann kommt, ist fast schon erwartbar: „Du kannst doch nicht alle über einen Kamm scheren.“ Doch. Das kann ich. Und das tue ich.
Denn nach der internen Veröffentlichung des Missbrauchs verstummte der Kontakt schlagartig. Keine Nachfrage, keine Rückfrage, kein einziges Interesse an der Wahrheit. Stattdessen die stillschweigende Zustimmung zum offiziellen Vorgehen. Und der Gehorsam gegenüber der Botschaft, sich herauszuhalten, denn die Leitung „wisse ja, was zu tun sei“.
Mit diesem Verhalten habe ich meinen Frieden gemacht und daraus jedoch die einzig logische Konsequenz gezogen:
Ich wünsche keinen Kontakt mehr zu Mitgliedern der Christianer. Keine Gespräche, keine zufälligen Begegnungen, keinen Austausch.
Warum? Weil ich keinen Umgang mit Menschen möchte, die
• wissen, dass ein Täter unter ihnen lebt, und sich mit dem angeblichen Nichtwissen über seine Identität zufriedengeben.
• Entscheidungen der Leitung mittragen, obwohl sie um deren Fragwürdigkeit wissen.
• grundlegende fachliche Erkenntnisse ignorieren und nicht hinterfragen wollen und dabei einen Umgang mit Tätern dulden, der allen wissenschaftlichen Erkenntnissen widerspricht.
• sich einem unausgesprochenen Befehl beugen und mein Outing als Angriff statt als Chance zur Aufklärung und nachhaltigen Veränderung deuten.
Bilder helfen manchmal, das Offensichtliche sichtbar zu machen. Und da denke ich an eine Szene aus dem Comic „Der Papyrus des Cäsar“. In dieser Geschichte hält Cäsar ein Manuskript zurück, das seine Fehler offenlegt. Ein unscheinbarer Schreiber bringt es dennoch in Umlauf, und die Reaktion folgt sofort: Druck, Einschüchterung und der Versuch, die Wahrheit zu ersticken.
Die Geschichte beginnt mit einer Szene im Palast des Cäsar, in der er und sein Berater Syndicus über eine Passage sprechen, in der die Gallier erwähnt werden, die nie besiegt wurden. Der Vorschlag ist: Diese Passage streichen und unsichtbar machen. Zwei Soldaten stehen in der Nähe und hören zufällig mit. Während sie sich entfernen, fragt einer den anderen Soldaten: „Kapierst du etwas von dem Gefasel?“ Der andere antwortet: „Ach, weißt du, ich und die moderne Literatur…“
Diese Szene ist für mich sinnbildlich. Menschen mit Bildung, Verantwortung, akademischen Titeln. Lehrer, Ärzte oder Pädagogen. Doch sobald es um den Schutz von Kindern und um Aufarbeitung geht, verstehen sie plötzlich „nichts mehr“. Dann höre ich Sätze wie: „Da kenne ich die Hintergründe nicht.“ Oder: „Dafür bin ich kein Experte.“
Das ist nicht Unwissen. Das ist bequemes Wegsehen. Und dieses Wegsehen ist feige. Wie viele deutliche Hinweise muss man ignorieren, bevor Schweigen zur Mittäterschaft wird?
Und noch etwas: Dieser Abschnitt richtet sich auch an diejenigen, die glauben, mir heute noch eine Szene machen zu müssen – aus Wut, Groll oder persönlicher Enttäuschung. Manchen mag meine Geschichte unangenehm gewesen sein. Das tut mir leid. Aber es ändert nichts an meiner Haltung. Deshalb meine klare Empfehlung:
Am besten lassen, denn inzwischen bin ich darauf vorbereitet.





















